Angesagt
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- Macron: Das Ende der westlichen Hegemonie über die Welt
- Wurde der Islam mit dem Schwert verbreitet?
- Polit-Talkshow: Krise zwischen USA und Iran - Krieg oder Deal?
- Die liberale Demokratie und ihre Mythen
- Causa Asia Bibi – Befreit den Islam!
- Ukraine: Mafia statt Euromaidan
- Fukuyamas Identitätsfrage und was die Gesellschaft noch zusammenhält
- Versuch einer Annäherung: iranisch-islamisches Volksprimat und westlich-liberale Demokratie
- Konstruktive Reformen sind im Sinne des Islams
- Vier Gründe, warum die Medien nicht islamfeindlich sind
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Iran – Eine hybride Kultur

In der Islamischen Republik Iran leben verschiedene Ethnien und Konfessionen sowie Modernisten und Traditionalisten weitgehend friedlich miteinander.
In meinen Leben habe ich viele Länder bereist. Die Kulturen kennengelernt. Versucht, nicht neben den Menschen, sondern mit den Menschen zu leben. Skandinavien mit seinen unterschiedlichen Völkern bot mir die Möglichkeit, Wahrnehmungen aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Japan steht mit seinen Tradition, dem immer noch existierenden Ehrenkodex der Samuraikaste und seinem feudal – gesellschaftlichen System, im schweren Kontrast zum großen Drachen China.
„China breitet seine Flügel aus“, wurde mir immer wieder gesagt. Unterschiedlicher können die Kulturen zwischen Japaner und Chinesen, wenn man den Begriff für diese Vielvölkerstaaten überhaupt so verwenden kann, nicht sein.
Südostasien, buddhistisch, konfuzianisch, muslimisch und auch christlich geprägt, ist ein Schmelztiegel der Kulturen, welcher eines gemeinsamen Nenners bedarf, um gesellschaftlich klar zu kommen. In Singapur sind es die strengen Normen des Konfuzianismus, nach dem sich alle richten müssen. In Thailand, Laos und Kambodscha die Lebensweise des Buddhismus, welcher auch mal radikale Formen annehmen kann.
Der arabisch geprägte Nahe Osten, mehrheitlich religiös verankert in den verschiedenen Strömungen des sunnitischen Islam, Israel und Teile des Libanon bilden hier eine Ausnahme, ist von zahlreichen Konflikten durchsetzt und sucht seinen Weg. Die Region befindet sich im Wandel und der Prozess ist noch lange nicht abgeschlossen.
Ein Land, welches ich noch nie zuvor besucht habe, bildet der schiitisch geprägte Iran. Wie geht man nun mit einer Region um, der Menschenrechtsverletzung und aggressive Expansion vorgeworfen wird? Unter anderem auch der Wille Israel zu vernichten und welches bist vor kurzen, laut Medien, darin bestrebt war, zu einer nuklearen Macht heranzuwachsen.
Meine Lösung dazu wie folgt:
Man nehme ein weißes Blatt. Suchend nach dem Inhalt. Wenn keiner zu finden ist, was die logische Konsequenz bei einem leeren Blatt ist, sollte man zunächst das bereits in Erfahrung gebrachte, sei es nun durch die Politik oder die Medien, erst einmal ausblenden. Nun tauche man ein in die Welt des Landes, vertiefe sich in die Grundpfeiler der Gesellschaft, welche ein staatliches Gebilde ausmachen. Dazu zählen die Religion, die Kultur und Tradition, die Wirtschaft, Kunst und Literatur, Geschichte, Architektur sowie das soziale Leben, und fange an zu schreiben. Zunächst aus dem Blickwinkel des anderen, dann ergänzt um die eigene, mit Logik und Vernunft verwobene Sichtweise.
Tut man das was ich in ungefähr drei Wochen mit einem sehr engen Zeitplan, Besuchen bei religiösen Führern, Politikern, staatlichen Stellen, wirtschaftlichen Vertretern und vor allem einfachen Bürgern gemacht habe, entsteht ein Bild, welches anders ist als die Vorstellung, die man im europäischen Kontext kennt.
Und damit komme ich auf ein wesentliches Problem, welches der Westen immer wieder mit einem Gebilde wie dem Iran hat und wahrscheinlich, wenn man nicht die eigene Denkweise hinterfragt, immer wieder haben wird. Aus der westlichen Perspektive betrachtet ist der Iran ein theokratisches Gebilde, welches bestrebt ist im religiösen Rahmen Kontrolle über die Bürger auszuüben. Das Leben der Iraner, jedenfalls nach außen, ist auch durch eine intensive Ausrichtung nach religiösen Regeln geprägt. Allerdings verbirgt sich bei einer tieferen Sicht mehr dahinter, als augenscheinlich zu sehen ist. Viele Verhaltensweisen sind das Resultat traditioneller Werte, welche die verschiedenen Ethnien des Irans, besonders durch die Lebens- und Verhaltensweisen der Frau zum Ausdruck bringen. Die Gesellschaftsform ist, wie in anderen Regionen des Nahen Ostens und Asiens ebenfalls, stark patriarchalisch geprägt. Mit unterschiedlich starken Facetten, die wiederum in Abhängigkeit zur Volk- und Clanzugehörigkeit stehen. Bei der Ethnie der „Luren“ z.B. muss sich das weibliche Geschlecht dem Diktat des Mannes beugen. Die Frauen der „Kaschgai“ genossen und genießen, als traditionelles Überbleibsel, verhältnismäßig viele Freiheiten.
Aus dem Blickwinkel des Orientalen betrachtet ist der Iran ein in seiner Jahrtausende alten Kultur, Tradition und Religion verankertes Staatswesen, welches die Religion zum dominierenden Faktor erhoben hat, um einen möglichst gleichen Nenner in einem Vielvölkerstaat zu definieren. Die Gesellschaft, gerade wegen der vorhanden Vielfalt, konsumierte und konsumiert weiterhin, aus der Gewohnheit heraus, andere Kulturen und deren Traditionen und Werte, um einen begrenzt – multiplen Weg gehen zu können. Dabei kristallisiert sich heraus, dass und das ist eine besondere Eigenschaft der Iraner, gerade philosophische Akzente, die ebenfalls aus der Jahrtausende alten Tradition kommen, den Ausschlag für einen eigenen Weg geben, der der Maßstab für diese Region ist.
Egal ob nun im religiösen, im wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Rahmen. Der philosophische Diskurs und damit auch das Hinterfragen des eignen Handelns spielen eine vordergründige Rolle bei allen Entscheidungen des Landes.
Dabei stellt sich einem die Frage, was der Iran überhaupt ist.
Iran, vollständig Islamische Republik Iran genannt (in Anlehnung an das altpersische Wort „Aryanam“, bedeutet so viel wie Land der Arier), hat ca. 75 Millionen Einwohner bei der vierfachen Fläche Deutschlands und zählt damit zu den 20 bevölkerungsreichsten Ländern der Erde. Ca. 36 % der Bevölkerung fühlen sich der persischen Ethnie zugehörig. 7 % bis 10 %, angesiedelt im Norden des Landes, sind Kurden die dem sunnitischen Islam angehören. 6 % der Bevölkerung zählen zu den Luren, während die Belutschen mit 2 % eine recht kleine Minderheit darstellen. 17 % gehören zu den Aserbaidschanern, die ebenfalls schiitisch geprägt sind und teilweise in Spannung zu den sunnitischen Kurden leben. Weiterhin gibt es in den nördlichen Steppenregionen einige Angehörige turkmenischer Stämme. Interessanterweise macht der Anteil der arabischen geprägten Bevölkerung nur gut 2 % aus. Künstlich angesiedelt, vor allem in der Region um Isfahan herum, lebten früher 300.000 Armenier.
Und die einst zahlreich vertretene indigene Bevölkerung im Iran, die noch vor der Ankunft der Perser im Land lebte, so z.B. die Assyrer, heute eine der letzten verbliebenen christlichen Minderheiten, macht nur noch einen verschwindend geringen Anteil aus. Von hier aus fand die Expansion der nestorianischen Kirche statt, die ihre Fühler bis zum fernen Japan und Malaysia ausstreckte, doch nach dem Einfall der Mongolen fast der vollständigen Vernichtung unterlag.
Mit Kyros dem Großen, Begründer der Dynastie der Achämeniden, entstand das größte Reich der Weltgeschichte, welches seinen Einfluss bis ins heutige Mazedonien ausgedehnt hatte. 330 v. Chr. wurde es von Alexander dem Großen zerstört. Um später durch die Sassaniden, zwischen dem 3. und 7. Jahrhundert, neben dem byzantinischen Reich wieder eine machtvolle Größe in der Region zu erreichen. Bedingt durch die islamische Expansion wurde die frühere Hauptreligion, der Zoroastrismus, abgelegt und durch den Islam ersetzt. Die facettenreiche persische Kultur absorbierte den kulturellen Kodex der arabischen Eroberer und veränderte den Islam in seiner Ausführung entscheidend. Hin zu einem starken philosophischen Akzent, in dem die Bildung, die Philosophie, die Kunst und der Wert der Kultur im Allgemeinen einen hohen Stellenwert besaßen. In dieser Zeit, unter Einflussnahme persischer Gelehrter, manifestierte sich der Begriff des „Goldenen Zeitalters des Islams“. Eine Epoche, in der z.B. den Wissenschaften sehr viel Spielraum in den Bildungseinrichtungen gegeben wurde. Dies ist insofern wichtig, weil man nur mit diesem Hintergrundwissen die aktuellen Entwicklungen auch verstehen kann. Der schiitische Islam dieser Zeit war und ist immer noch offener als z.B. der wahhabitisch geprägte sunnitische Islam auf der arabischen Halbinsel. Ein wesentlicher Unterschied bildet der Umgang mit anderen Minderheiten, sogenannten Dhimmis, die nicht der gängigen Auslegung des Islams angehörten. Imam Ali, nach schiitischer Sichtweise der legitime Nachfolger des Propheten Mohammeds, trat für die Abschaffung der Benachteiligung ein. Wahrscheinlich war gerade dieser Punkt, wenn es um die Gleichberechtigung der Religionen ging, der ausschlaggebende Faktor für die Spaltung des Islams in Schiitentum und Sunnitentum.
Mit dem Einfall der Mongolen unter Dschingis Khan im Jahre 1219 n. Chr. endete die Hochblüte des Islams. Die Mongolen plünderten und zerstörten die iranischen Städte. Die Anzahl der Bevölkerung schrumpfte dramatisch. Einige Regionen konnten sich nie wieder erholen. Das Hochland schaffte dennoch ein Erblühen. Nur um erneut 1381 n. Chr. von den mongolischen Horden Tamerlans, des Weltenzerstörers, abermals überrannt zu werden.
Es folgten zahlreiche weitere Eroberer mit all ihren politischen und kriegerischen Konflikten. Osmanen, Briten, Russen wollten jeweils ein Stück des Landes haben. Eine Region mit den weltweit größten Gasvorkommen und den viertgrößten Erdölvorkommen, erweckt besonders im industriellen Zeitalter Begehrlichkeiten. Die amerikanische CIA trug zum Sturz einer Regierung bei, Monarchen kamen und gingen. Religiöse Führer übernahmen das Zepter und bilden bis heute die entscheidende Macht in einem Land, welches viele Ethnien und Religionen beherbergt.
In einem Land, welches mehr ist als die Energievorkommen, die es weltweit strategisch ins Zentrum geopolitischer Ereignisse rücken lässt. Der Iran ist Geschichte, Bildung, Kunst, Philosophie und architektonisch, geprägt durch die Epochen der Zeit, von immenser Bedeutung.
Sumerer, Babylonier, Assyrer, Perser, Griechen, Römer, Osmanen und noch viele andere Völker haben ihre Spuren in dem Land hinterlassen. Tiefes und breitgefächertes Wissen hinterlassen. Mündend in einem Satz, den mir ein junger Student in Teheran mitgab.
Er sagte: „Der Iran ist eine hybride Kultur. Wir werden nie den Westen kopieren. Aber können und werden von allen Kulturen das Beste übernehmen, um unseren eigenen Weg zu definieren.“
Der junge Mann, der mir dies sagte, hat jüdische, zoroastrische, assyrisch – christliche und mandäische Vorfahren, auf die er stolz ist. Er selbst sieht sich als Muslim und vergöttert buchstäblich Hegel, Freud und Augustinos von Hippo. Außerdem hat er extra Deutsch gelernt, um sich in die deutsche Literatur vertiefen zu können.
Meine drei Wochen waren, wie eingangs erwähnt, sehr intensiv. Ich besuchte Teheran, mehrmals Ghom, die Heilige Stadt der Schiiten, Isfahan, die künstlerisch bedeutendste Stadt in der Region, die ich jemals zu Gesicht bekam, Urmia, eine uhrchristliche Metropole im Norden sowie die Umgebung Urmias, mit ihren zahlreichen uralten nestorianischen Kirchen...
Wenn ich in den ersten Tagen nach meiner Rückkehr meine Eindrücke am besten beschreiben könnte, so würde ich das folgende Bild verwenden.
Es zeigt die armenische Vank – Kathedrale in Isfahan. Die Kuppel wurde von schiitischen Architekten erbaut. Das prachtvolle Mosaik geht auf das Schaffen isfahaner Künstler zurück. Die wunderschönen Fresken wurden von italienischen Künstlern zum Leben erweckt.
Ich begebe mich nun dazu, das weiße Blatt zu füllen.
Mit freundlicher Genehmigung von Oannes Consulting.
Simon Jacob ist Buchautor, Politikberater und Vorsitzender des „Zentralrats Orientalischer Christen in Deutschland e.V. – ZOCD“. Im Rahmen des von ihm initiierten Projektes Peacemaker-Tour war er 2015/2016 als Friedensbotschafter des Zentralrats und freier Journalist im Nahen Osten unterwegs. In gut fünf Monaten legte Simon Jacob rund 40.000 km zurück und besuchte neben der Türkei, Georgien, Armenien und Iran auch die Krisengebiete in Nordsyrien und Nordirak. Seine Beobachtungen und Erfahrungen dokumentierte er in seinem Buch "Peacemaker - Mein Krieg. Mein Friede. Unsere Zukunft.", das im April 2018 im Herder Verlag erschienen ist.
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Die Wichtigkeit und Richtigkeit dieses Abschnitts kann man gar nicht hoch genug schätzen: "Aus dem Blickwinkel des Orientalen betrachtet ist der Iran ein in seiner Jahrtausende alten Kultur, Tradition und Religion verankertes Staatswesen, welches die Religion zum dominierenden Faktor erhoben hat, um einen möglichst gleichen Nenner in einem Vielvölkerstaat zu definieren."