26.10.2017 Shayan Arkian und Ahmad Abbas

Der Koran ist selbstkritischer als die Muslime


"Das hat nichts mit dem Islam zu tun."

Ausschnitt einer Titelseite vom Nachrichtenmagazin "Focus".

Sie kommen wie aus der Pistole geschossen. Worte, die jeder kennt und keiner mehr hören kann. Auch nach den jüngsten Anschlägen hieß es wieder: „Das hat nichts mit dem Islam zu tun“. Längst sind es nicht nur die führenden muslimischen Dachverbände, die den simplen Satz nach jedem Anschlag wiederholen. Auch deutsche, nichtmuslimische Politiker sprechen diesen in Fernsehsendungen und Pressemitteilungen nach: „Terror hat nichts mit dem Islam zu tun.“ Hätten sich wenigstens die genannten muslimischen Vertreter bemüht, ihre wichtigste Quelle gründlicher zu prüfen, würden sie solche plumpen Aussagen sein lassen. Sie wären überrascht, wenn sie feststellen, dass der Koran sich in Fragen des Missbrauchs souveräner äußert als seine Anhänger. Denn er ermahnt seine Leser und macht deutlich: Wer die „Brille der Gewalt“ aufsetzt, wird Gewalt bei mir finden.

Die genuine Selbstkritik im Koran

Im Koran, dem heiligen Buch der Muslime und der wichtigsten Geistesquelle des Islams, heißt es: "Er ist es, Der das Buch zu dir herabgesandt hat; darin sind Verse von eindeutiger Bedeutung - sie sind die Grundlage des Buches - und andere, die verschiedener Deutung fähig sind. Die aber, in deren Herzen Verderbnis wohnt, suchen gerade jene heraus, die verschiedener Deutung fähig sind, im Trachten nach Zwietracht und im Trachten nach Missdeutung." (Sure 3, Vers 7)

Das heißt, dass diejenigen, die ein krankes Herz haben und zu schlechten Dingen neigen, die mehrdeutigen Verse als Maßstab des Buches nehmen und sich daran orientieren, mit dem Ziel, Hetze zu betreiben und Gewalttaten zu legitimieren - sie interpretieren den Koran nach ihren Interessen. Damit macht der Koran höchstselbst auf die Gefahr und Möglichkeit seiner falschen Interpretation aufmerksam. Unter den heiligen Schriften der Weltreligionen ist es wahrscheinlich nur der Koran, der mit dieser Deutlichkeit seine Interpretierbarkeit feststellt und darüber hinaus auch die Gefahr und Möglichkeit seiner falschen und missbräuchlichen Auslegung erwähnt.

Wesentliche Mitschuld der Dachverbände an der undifferenzierten Berichterstattung über den Islam

Als der Vorsitzende eines prominenten muslimischen Dachverbandes nach einem erneuten Anschlag im öffentlich-rechtlichen Fernsehen auftrat und abermals seinen allseits berühmten Standardsatz „Das hat nichts mit dem Islam zu tun“ abgab, titelte das Nachrichtenmagazin „Focus“ wenige Tage später prompt: „Das hat nichts mit dem Islam zu tun. Doch!“.

Diese Entwicklung ist nicht überraschend und war abzusehen. Wer mit solchen einfältigen Sätzen die politische Debatte führt, muss sich nicht wundern, dass sie einen ebenso einfältigen Gegenpol provoziert – mit fatalen Konsequenzen. Denn seit Langem hat die AFD diese fahrlässige Polarisierung für sich entdeckt und gibt immer wieder belustigend die Parole aus: „Hat aber alles nix mit nix zu tun.“ Nicht von ungefähr konnte die rechtspopulistische Partei diese Woche in den Bundestag einziehen, die gerade auf solche Schwarz-Weiß-Malerei angewiesen ist - an der eben bestimmte Dachverbände ursächlich beteiligt sind.

Wer undifferenziert debattiert, sät Dichotomien und treibt die Spirale in die Höhe - sie nötigen zu einer fundamentalen Gegenposition und geben dadurch Hetzern die Munition, die Gesellschaft auseinanderzuspalten. Hätten die leichtsinnigen Spitzenvertreter der organisierten Muslime jedoch stets verlautbart: „Die Anschläge sind das Resultat einer falschen Auslegung des Korans“ oder „Terror wird im Namen einer bestimmten islamischen Strömung ausgeübt, die dem Islamverständnis der absoluten Mehrheit der Muslime sowohl in Deutschland als auch weltweit widerspricht“ und andere theologisch korrekte und differenzierende Aussagen getätigt, ja sie hätten fundamental eine andere weitreichende und nachhaltige Wirkung auf die Islamdebatte gehabt. In dem Moment, wo die Rede davon ist, dass eine spezielle Richtung des Islams den Boden für diesen Terror und Gewalt ebnet, kann die Gegenseite nicht ohne Weiteres mit einem hetzerischen Gegenpol gegen den Islam per se auffahren und gegen ihn auf Stimmenfang gehen. Weil wo kein solcher Pol ist, kann es auch keinen entsprechenden Gegenpol geben.

Aber zu dieser Sachlichkeit ist es nicht gekommen und nun müssen sich die Muslime in diesem Wirrwarr an antagonistischen Debatten, Diskursen und Bildern schlagen und behaupten - und um eine authentische Stimme ringen. Denn sie sehen sich weder als Reformer noch empfinden sie sich als liberal, wenn sie sagen: „Ja, es hat mit dem Islam zu tun, aber nicht mit unserem Islam und nicht mit dem Islam unseres Propheten, dem wir folgen.“ Ein solcher Ansatz ist nicht nur ehrlich und wahr, sondern er trägt auch zum korrekten Verständnis bei und nimmt alle mit im gemeinsamen Kampf gegen das Übel dieser speziellen Ausrichtung des Islams.

Shayan ArkianShayan Arkian ist unter anderem Medien- und Politikberater und studierte Politik, Philosophie, Pädagogik und Theologie in Hamburg und Qom.




Ahmad AbbasAhmad Abbas ist Absolvent der Philosophie und Germanistik und angehender Islamwissenschaftler.

 

 


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Kritiker12-12-17

Ein sehr tollter Artikel, danke dafür!

Zeynep22-01-18

Ein schöner Text, dem ich zustimmen muss. Mir stellt sich jedoch die Frage, ob diese Aussage vom Focus tatsächlich vermieden werden konnte. Passende Sprüche werden meist entweder aufgegriffen und überspitzt dargestellt oder aber man schlussfolgert mit eigenen Worten. Auch bei geeigneten Aussprüchen jener Vertreter, hätte sich der Focus wahrscheinlich etwas Passendes dazu ausgedacht, die AfD sowieso.

SA22-01-18

@Zeynep

Ich denke schon, dass das Nachrichtenmagazin "Focus" nicht auf so eine Schlagzeile gekommen wäre, wenn führende muslimische Vertreter nicht immer gebetsmühlenartig den undifferenzierten Standardsatz "Das hat nichts mit dem Islam zu tun!" rausgehauen hätten. Der Titel von "Focus" ist ja doch gerade eine Antwort auf diesen plumpen Satz.

Wörter und Terminologien haben einen unglaublichen Einfluss auf einen Diskurs. Wären die Erklärungen dieser Vertreter differenzierter und genauer gewesen, dann wäre die Islamdebatte in Deutschland eine gänzlich andere geworden - davon bin ich überzeugt. In diesem Zusammenhang auch interessant:

"Es sind sage und schreibe zehn Jahre nach dem 11. September verstrichen, bis die Massenmedien allmählich begannen, in ihren Berichterstattungen zwischen den verschiedenen islamischen Konfessionen zu unterscheiden und so 'Al-Qaida' - und ihre spätere Abspaltung 'IS' als ein aus dem Wahhabismus stammendes Phänomen zu benennen. Bis zu dieser Zeit wurden fast ausnahmslos sämtliche politische und militante islamisch begründete Organisationen verschiedener Couleurs der Einfachheit halber mit der bloßen Etikettierung 'islamistisch' umschrieben. Die Leser und Zuschauer sollten ja nicht überfordert, sondern eher unterhalten werden. Rein begrifflich schon führt aber diese Pauschalisierung zu falschen Schlüssen und Bewertungen, denn der Terminus 'islamistischer Terror' zum Beispiel wird gemeinhin in der Abgrenzung zu allen anderen Religionen und Weltanschauungen wahrgenommen, wohingegen der Terminus 'wahhabitischer Terror' in der Abgrenzung zu anderen islamischen Konfessionen verstanden werden würde. Das heißt: Indem die Umschreibung 'islamistischer Terror' verwendet wird, wird suggeriert, dass Muslime selbst nicht von diesem Phänomen bedroht sind. Wird hingegen die Beschreibung 'wahhabitischer Terror' verwendet, wird deutlich, dass andere Muslime ebenfalls von dieser Bedrohung betroffen sind. Und tatsächlich sind die zahlenmäßig größten Opfer von Al-Qaida und 'IS' eben Muslime. Hätten die Massenmedien von Begin des globalen wahhabitischen Terrors an solch eine differenzierte Beschreibungen vorgenommen, wäre es allein durch die Sprache bedingt, wahrzunehmen, dass der Islam an sich nicht diese Gefahr darstellt, sondern eine bestimmte Strömung von ihm." http://www.multiperspektivisch.de/nachricht/detail/5.html

Allerdings sind die Medien für diese Misere nicht alleine schuld, sondern eben die oben genannten Vertreter mit ihren pauschalen Erklärungen ebenso.

Zeynep23-01-18

Danke für die informative Antwort.





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