Dogmatische Erstarrung oder Pluralismus der Demokratie?


Parlamente der Welt.

Parlamente der Welt.

Athen gilt als Modell für die Kulturleistung der Demokratie, obgleich die beiden größten Denker jener Zeit, Platon (gest. 347 v. Chr) und Aristoteles (322 v. Chr), davon nicht gerade überzeugt waren.

Platon hatte Bedenken aufgrund der Naivität der Massen, Aristoteles sah in der Demokratie eine defiziente Regierungsform. Und selbst die Gründerväter der Vereinigten Staaten betrieben die Demokratie mit einem gewissen Misstrauen, indem sie nur die (vermeintlich vernünftigeren) Männer wählen und das Schicksal der Gesellschaft bestimmen ließen.

Der US-amerikanische Philosoph und Schriftsteller Will Durant (gest. 1981) stellte in der Blüte der Demokratie die Frage, ob die Demokratie verloren habe, und er erklärte: „Je mehr ich die Demokratie untersuche, desto bewusster wird mir deren Unfähigkeit und Heuchelei.“ Die Unwissenheit der Masse und deren Instrumentalisierung durch die politischen Akteure sah er als Ursachen für das Scheitern der Demokratie. Nach dem deutschen Geschichtsphilosophen und Kulturhistoriker Oswald Spengler (gest. 1936) nützt Demokratie nur den Reichen.

Allerdings führte der vorherrschende Diskurs im 17. und 18. Jahrhundert die Demokratie letztlich zur gesellschaftlichen Akzeptanz. Heute propagiert der deutsche zeitgenössische Philosoph und Soziologe Jürgen Habermas die Verwirklichung einer Demokratie, an der die Masse mehr Anteil hat. Er sieht den freien Vernunftgebrauch als notwendige Voraussetzung von Demokratie und für eine friedliche Machtübertragung und Machtausübung. Letztere sei die Grundlage für die Zufriedenheit der so politisch Organisierten. In seinem Sinne kann man die modernste und am weitesten entwickelte Form der Demokratie als legitime Partizipation der Masse verstehen.

Es gibt aber letztlich weder eine universell propagierte noch eine universell existierende Idealform oder Handhabungsweise der Demokratie, worüber ein Konsens herrscht. Sind die Demokratien in Frankreich und Irland, Italien und England oder in den USA und Indien gleich? Wurzelt die Demokratie eines Landes nicht in der Denkweise und damit in der Kultur der jeweiligen Bevölkerung? Wenn dem so ist, müsste es den Völkern der Welt nicht erlaubt sein, eine für sie geeignetere Definition von Demokratie zu begründen?

Es wäre schließlich ein Paradoxon, von einem einzigen Demokratiemodell auszugehen und dieses allen anderen Völkern vorzuschreiben. Darüber hinaus wäre es auch nicht im Sinne eines demokratischen Geistes, zu proklamieren, die Demokratie sei so etwas wie das „Ende der Geschichte“, als sei mit ihr alles beendet und die Menschheit würde niemals ein besseres System hervorbringen können. Die Mündigkeit des fortschrittlichen Menschen unserer Zeit würde so vom „Dogma der Demokratie“ erstickt werden. Die kreative Kraft des Menschen ist es aber, nicht zu versagen! Die islamische Autorität Imam Ali ibn Abu Talib brachte dies mit folgenden Worten zum Ausdruck: „Jede dogmatische Stimme bedingt den Untergang.“

Meine Wenigkeit hält die Demokratie - trotz aller Mängel - für eine für die Menschen glückliche, erfolgreiche Erfahrung, die Machtkonzentration und Machtmissbrauch verhindert. Der Gebrauch bestimmter Begriffe, wie zum Beispiel „religiöse Herrschaft der Masse“, „religiöse Zivilgesellschaft“ oder „religiöser Pluralismus“, geht in bestimmten islamischen Gesellschaften mit dem Bestreben kluger Denker einher, ein neues Demokratiemodell zu entwickeln, das mit der Kultur, Geschichte und Politik dieser Gesellschaften kompatibel ist. Eine Kopie schon etablierter westlicher Demokratien wäre nicht nur nicht umsetzbar, sie wäre auch nicht sehr intelligent. Die Geschichte vergangener Generationen lehrt uns, dass Gedanken, die nicht auf Vernunft und Gedankenfreiheit basieren, früher oder später doch dogmatisch und absolut werden. Daher sollten die Völker der Erde - statt einer blinden Nachahmung - vielmehr die demokratischen Erfahrungen der Menschen in der westlichen Welt berücksichtigen. Vielleicht, ja vielleicht, würden sie sodann sogar in der Lage sein, ein humaneres, sozialeres und demokratischeres System zu etablieren. Der Grundgedanke der Demokratie verbietet ihnen diese Vorgehensweise jedenfalls nicht.


Mohammad Razavi Rad Dr. phil. theol. Mohammad Razavi Rad ist spezialisiert auf Religionswissenschaft und Religionsphilosophie und ist Autor von mehreren Büchern, Publikationen und Aufsätzen und ist Direktor des Instituts für Human- und Islamwissenschaften in Hamburg.

 


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Prof. Dr. Schubert24-10-17

Sehr interessanter Gedankengang! Vielen Dank für diesen Artikel!

Urs14-11-17

Leider gibt es keine Demokratie, die von allen sozialen Schichten regiert wird, deswegen nur die Reichen davon profitieren.





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